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Das Wochengespräch - ein Instrument der engen Führung

Bei der engen Führung polarisieren sich oft die Meinungen: die Einen machen das gerne, weil es ihnen ein Gefühl der Kontrolle gibt, und die Anderen finden es völlig unmöglich. Aber sollte man das nach Gefühl entscheiden? Ich meine: Nein, denn es kommt auf die Wirkung an. Welcher Führungsstil bringt mir das gewünschte Ergebnis?

Enge Führung ist dann notwendig, ja sogar hilfreich, wenn Mitarbeitende ihre Aufgaben nicht selbstständig gut erledigen können. Dann sollte die Führungskraft sich engmaschig einschalten und ihre Erwartungen konkret erklären. Nur so können weitere Fehlentwicklungen verhindert werden. Und das nützt letztendlich auch den Beschäftigten.

Kalenderblatt
© Darkmoon Art, Pixabay-Lizenz 2022

Aber enge Führung kostet Zeit. Deshalb ist es klug, strukturiert vorzugehen und Routinen einzuziehen, so dass die eigene Zeit und die des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin möglichst effizient verwendet wird. Ein sehr gutes Instrument dazu ist das Wochengespräch.


Nach drei Jahren Projektarbeit wurde Herrn Sanchez eine Abteilungsleitung in der Produktentwicklung angeboten. Er machte innerlich einen Luftsprung! Doch seine Freude wurde bald getrübt, als seine Projektkollegen ihn aufklärten: „Oh je! Da ist doch die Frau Vogelsang. Die reine Katastrophe, die hat schon dein Vorgänger nicht in den Griff gekriegt.“ Herr Sanchez nutzte die nächste Gelegenheit, sich bei seinem zukünftigen Team vorzustellen. Die Stimmung war gut, er wurde offen und freundlich aufgenommen. Auch diese Frau Vogelsang machte einen positiven Eindruck. Sollte er sich überhaupt Sorgen machen? Vielleicht hatte das Problem auch mehr mit dem vorherigen Abteilungsleiter zu tun.

In dem Unternehmen bekamen neue Führungskräfte standardmäßig ein Seminar zum Führungsleitbild und einige Stunden Coaching bei einem internen Coach. Für Herrn Sanchez war das Frau Grabowski. Sanchez versuchte bei der Gelegenheit herauszubekommen, was die Personalabteilung über Frau Vogelsang so dachte. Doch Frau Grabowski rückte nichts raus. Sie drehte den Spieß um: „Was werden Sie denn tun, um sich ein Bild zu verschaffen, wie Frau Vogelsang arbeitet?“ Sanchez hatte ja nun einige Erfahrung mit der Führung von seinen bisherigen Projektmitarbeitenden. Die waren mit ihm sehr zufrieden gewesen, und so wollte er auch weiter agieren. „Ich werde sie fragen, ob es Probleme gibt. Und wenn ja, dann werde ich sie unterstützen.“

Überraschenderweise fragte die Grabowski weiter: „Bei welchen Gelegenheiten werden Sie sie das fragen?“ Musste man das so genau festlegen? Sanchez runzelte die Stirn. Er fühlte sich irgendwie gegängelt. „Lassen Sie mich doch erstmal in meinem neuen Job ankommen. Ich weiß noch gar nicht, wie der Alltag sich so gestaltet.“ „Okay“, lenkte Grabowski ein, „aber, noch eine kleine Frage: Gestaltet sich der Alltag selbst? Oder gestalten Sie ihn?“. Sie hatte ein humorvolles Lächeln, und so lächelte er mit. „Wollen Sie mir durch die Blume sagen, ich sollte da aktiver vorgehen?“ Sie nickte. „Dann mache ich mir bis zur nächsten Stunde mal ein paar grundlegende Gedanken, die ich dann gerne mit Ihnen durchgehe!“.

Herr Sanchez geht sehr optimistisch an seine neue Position heran. Er ist freiwillige, motivierte und leistungswillige Projektmitarbeitende gewohnt. In einer „normalen“ Abteilung könnte es auch anders sein. Er hat seine Projektmitarbeitenden weit geführt. Das war auch passend, denn diese Leute waren kompetent und richtig motiviert. Sie haben sich selbst gut gesteuert, voraus- und mitgedacht, und den Freiraum, den Herr Sanchez ihnen ließ, gut genutzt. Wenn es Probleme gab, gingen sie selbstständig an eine Lösung heran, sie übernahmen Verantwortung und fragten nur nach Unterstützung, wenn sie es selbst nicht bewältigen konnten. Das war beispielsweise der Fall, wenn hochrangige Manager dem Projekt Steine in den Weg legten, die Herr Sanchez als Projektleiter besser wegräumen konnte. Den Arbeitsstand konnten alle gut im Projektcontrolling nachverfolgen, so kamen Probleme auch nicht überraschend.

In seiner neuen Linienabteilung war die Arbeit anders. Herr Sanchez fühlte sich überschüttet von Mails, Meetings und persönlichen Anfragen seines Teams. Er spürte schon schnell, dass es absolut sinnvoll war, ein paar Strukturen einzuziehen, damit er überhaupt Herr seiner eigenen Arbeitszeit blieb. Da erledigte er die Hausaufgabe fürs nächste Coaching gerne. Mit Frau Vogelsang kam er auch öfters ins Gespräch. Das verlief immer herzlich, aber irgendwie auch oberflächlich. So ein richtiges „Gefühl“ für diese Mitarbeiterin bekam er nicht.

Dann gab es einen Eklat: eine Beschwerdemail von der Abteilungsleitung Marketing über Frau Vogelsang, direkt an seinen Bereichsleiter, er nur im CC. Frau Vogelsang sei mit Produktspezifikationen 3 Wochen hinter dem Termin zurück, und Marketing könnte eine zeitnahe Kampagne zur Einführung nun nicht mehr gewährleisten. Es folgte ein unangenehmes Telefonat mit dem Bereichsleiter, den er aber mit seiner kurzen Zeit in der Abteilung besänftigen konnte, und ein noch unangenehmeres Telefonat mit Frau Vogelsang. Von ihrer früheren Freundlichkeit war nichts mehr zu spüren, stattdessen griff sie die Marketingleitung an („unkooperative Wichtigtuer“) und auch Herrn Sanchez. „Wenn Sie ein guter Chef wären, dann würden Sie sich hinter mich stellen!“ Sanchez erklärte, dass er sie selbstverständlich gegen das Marketing in Schutz nehmen würde, und bat sie, den Rückstand schnellstmöglich aufzuholen. Doch das gute Gefühl war weg, und er beschloss, in der nächsten Woche im Coaching darüber zu sprechen.

Wenn wir „von außen“ auf eine Frau Vogelsang blicken, dann können wir leicht erkennen, dass sie zumindest Teil des Problems ist. Sie hat ihren Chef von der Verzögerung nicht in Kenntnis gesetzt, sie hat nicht erklärt, wie es dazu kam und was sie unternehmen wird, um aufzuholen. Statt mit lösungsorientierten Vorschlägen reagiert sie mit Angriffen. Kann Herr Sanchez das auch so wahrnehmen? Wenn wir selbst involviert sind, dann würden wir auch weniger klar sehen und eher Ärger und Verwirrung spüren. Ein Gespräch mit einem neutralen Dritten ist dann Gold wert.

„Was ist Ihr Ziel mit Frau Vogelsang?“, fragte Frau Grabowski, nachdem Herr Sanchez sich seinen Frust von der Seele geredet hatte. „Ich wüsste gerne, woran ich bin“, antwortete er. Frau Grabowski bestätigte ihn: „Das halte ich auch für notwendig, denn Sie verantworten die gesamte Abteilung. Und als Instrument empfehle ich Ihnen das Wochengespräch.“ „Wochengespräch? Aber doch nicht jede Woche?“ fragte Sanchez mit einem skeptischen Blick. „Doch, enge Führung heißt ‚dranbleiben‘“.

Wenn Mitarbeitende – eventuell auch nur in einem Aufgabenbereich – Probleme bei Kompetenz oder Motivation haben, ist ein engmaschiger Kontakt nötig. Die Führungskraft muss mitbekommen, was jeweils los ist, damit sie schnell korrigieren und helfen kann, so dass sich nichts in die falsche Richtung entwickelt. Das verhindert auch, dass sich Ärger aufstaut.

Sorgenkinder im Team machen Arbeit, aber die Zeit sollte effizient eingesetzt werden. Das ist nicht der Fall, wenn die Führungskraft ständig problemgetrieben gestört wird und aus dem Trouble Shooting nicht herauskommt. Das Wochengespräch bündelt den Zeiteinsatz auf einen festen Termin, der in der Wochenroutine verankert ist. So gibt es keinen Organisationsaufwand, man muss sich nicht verabreden. Unterbrechungen unter der Woche nehmen ab, denn der betreffende Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin wissen ja, dass man sich kurzfristig trifft. Beide Seiten bereiten sich vor, und das Gespräch kann konzentriert und kurz bleiben.

Ich empfehle eine Standard-Agenda, die sich (Dank auch an viele Coachingklient:innen!) über die Jahre herauskristallisiert hat:

TOP Inhalte
1. Aktuelle Ereignisse

Wie geht es der Mitarbeiterin, dem Mitarbeiter?

Was ist gerade am Arbeitsplatz los?

2. Wochenbericht des Mitarbeiters, der Mitarbeiterin

Rückschau

Auch: zu eigener Reflexion anregen

3. Formale Themen

Gleitzeit, Urlaub, Vertretungen u.ä.

 

4. Stand der Zielerreichung / der Vereinbarungen

Unternehmensperspektive

 

5. Wochenvorschau

Planung und vorausschauendes Denken

 

6. Aufgaben, Absprachen

To-dos, Sonderaufgaben

 

Nachdem Frau Grabowski das Vorgehen erklärt hatte, guckte Herr Sanchez immer noch wenig überzeugt. „Die springt mir doch im Dreieck“, so formulierte er seine Bedenken. „Lassen Sie uns das ausprobieren“, schlug Frau Grabowski vor. Sanchez durfte die Mitarbeiterin-Rolle übernehmen.

  • Frau Grabowski in der Rolle der Führungskraft: „Frau Vogelsang, ich will heute mit Ihnen mal einige Dinge zu Ihrem Arbeitsplatz durchsprechen. Das möchte ich zukünftig jede Woche genauso tun, damit ich weiß, was bei Ihnen los ist und ich Sie rechtzeitig unterstützen kann.“
  • Herr Sanchez in der Rolle der Mitarbeiterin: „Damit bin ich nicht einverstanden. Das machen Sie mit den Kollegen doch auch nicht!“
  • FK: „Frau Vogelsang, ich kann Ihnen versichern, dass ich so etwas mit jedem Kollegen machen werde, bei dem es Beschwerden und Rückstände gibt. Als erstes möchte ich einen Termin festlegen, an dem wir uns jeweils treffen. Was halten Sie von dienstags, 12 Uhr, nach der Teamsitzung?“
  • MA: „Das geht gar nicht. Da bin ich mit Frau Heidenkamper zum Mittagessen verabredet.“
  • FK: „Alternativ vor der Teamsitzung, 10 Uhr?“
  • MA: „Wenn es unbedingt sein muss...“
  • FK: „Dann halten wir den Termin fest. Wir werden aktuelle Themen besprechen können, aber ich möchte auch diese Standardpunkte jeweils ansprechen. (... reicht das Blatt mit der Agenda rüber und erklärt jeweils einen Satz zu jedem TOP). Fangen wir gleich an: Was gibt es Aktuelles, wie sieht es gerade aus an Ihrem Arbeitsplatz?“
  • MA: „Das ist alles sehr anstrengend. Ich muss ja die Produktspezifikationen zu K106 fertig kriegen...“
  • FK: „Wie genau gehen Sie da vor? Wo liegen die Hindernisse?“

 

Herr Sanchez fing an zu lachen: „Jetzt sind wir schon mittendrin!“. „So soll es auch sein“, bekräftigt Frau Grabowski, „Bei der engen Führung geht man aufgabenorientiert vor, man kümmert sich die Arbeitsaufgaben, ganz konkret und praktisch. Moralische Aufregung oder Vorwürfe sind unnötig. Es geht erstaunlich nüchtern und sachlich zu. Das muss man manchmal erst durchsetzen, aber wenn die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter das erleben, sind sie meist zufrieden mit dem etwas engeren Geländer.“

 

Welche Zielsetzung haben die einzelnen TOPs?

Der Wochenbericht „erzieht“ die Mitarbeitenden dazu, ihre Arbeit der vergangenen Woche in den Blick zu nehmen und zu reflektieren. Die Führungskraft erfährt, was am Arbeitsplatz los ist und wie die Person damit umgeht.

 

Bei den formalen Themen kann man Abwesenheiten vorausschauend berücksichtigen und Vertretungen regeln.

Der TOP „Stand von Zielerreichung oder Vereinbarungen“ erinnert daran, welche Absprachen getroffen wurden. Das stärkt die Ziel- und Lösungsorientierung.

Bei der Wochenvorschau kann die Führungskraft die Mitarbeiterin live beim Planen beobachten. Sind die Zeitansätze realistisch? Die Prioritäten richtig? Hier kann vorausschauend korrigiert werden. Außerdem ergibt sich ein erhellender Vorher-Nachher-Vergleich, wenn im nächsten Wochenbericht die tatsächlichen Arbeitsschwerpunkte berichtet werden.

Auch der TOP „Aufgaben, Absprachen“ dient der gegenseitigen Sicherheit. Die getroffenen Vereinbarungen sollen nochmal konkret benannt werden, damit keine Missverständnisse auftreten können.

 

Wie könnte es mit Frau Vogelsang weitergegangen sein? Vielleicht war sie nicht begeistert von wöchentlichen Pflichtgesprächen, vielleicht hat sie aber auch schnell gemerkt, dass sie dabei durchaus Unterstützung und vor allem Orientierung bekam. Sie konnte verstehen, worauf es ihrem Chef ankam, und Herr Sanchez vergaß auch die Anerkennung nicht, wenn sie sich an der richtigen Stelle angestrengt hatte.


Wochengespräche begleiten die nicht so kompetenten Mitarbeitenden solange, bis die Führungskraft sicher sein kann, dass sie die Qualität und Organisation ihrer Aufgaben eigenständig genauso gut sicherstellen können. Denn die TOPs des Wochengesprächs stellen ja eigentlich Denkschritte dar, die gute Mitarbeitende selbstständig ausfüllen: Reflexion der bisherigen Arbeit, Berücksichtigung von formalen Rahmenbedingungen, Priorisierung und Planung.

Dann haben die Wochengespräche ihren Zweck erfüllt und die Führungskraft geht zu einer weiteren Führung über. Hier ist das Instrument der Wahl der Monats-Jourfixe.

Investition von Führungszeit

Wochengespräche kosten Zeit. Sie sind eine Investition in die nicht so guten Mitarbeitenden, um kurzfristig Probleme zu verringern und um langfristig eine Kompetenzentwicklung anzustoßen, was sowohl den Mitarbeitenden, also auch der Führungskraft und dem Unternehmen nutzt.



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