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Kompetenzerwerb durch Googeln - geht das?

Selbstverständlich gehen wir heutzutage mit jeglicher Frage ins Internet und machen uns schlau. Funktioniert das auch bei Führungsproblemen? Nicht auf das nächste Führungsseminar warten, sondern gleich nachschauen, was man mit dem widerspenstigen oder unmotivierten Mitarbeiter am besten macht. Geht doch – oder?


Das Internet hält einen riesigen Wissensschatz bereit, der immer noch exponentiell wächst. Ob Probleme mit dem PC, Flecken auf dem Teppich oder Sixpack ohne Training – alle erwarten, dass Mister Google ihnen weiterhilft.

Herr Lembrinck lag mit seinem Mitarbeiter Herrn Christensen im Clinch. Dieser hatte es abgelehnt, eine Zusatzaufgabe in einem Projekt zu übernehmen, und ihn vor dem ganzen Team kritisiert, er würde keine Ahnung von der Arbeitsbelastung seiner Leute haben. Daraufhin hatte Herr Lembrinck ihn zu einem Vier-Augen-Gespräch einbestellt. Nun googelt er zur Vorbereitung mal schnell „konflikt mit mitarbeiter“: ungefähr 26.400 Ergebnisse. Das dürfte doch reichen.

Kompetenzerwerb durch Googeln - geht das? Screenshot (c) Sabine Neugebauer, 2020

Führungslernen durch Googeln: Was spricht dafür?

Als erstes: Die gelebte Wirklichkeit. Auch wenn uns Trainern die Haare zu Berge stehen – so wird es lange schon gemacht. Und es hat Vorteile!

Herr Lembrinck bekommt seine Tipps just in time, wenn er sie braucht. Es handelt sich nicht um „Bildung auf Vorrat“ wie so häufig bei Führungsschulungen. Gleich kommt sein Mitarbeiter, dann muss er gewappnet sein. Deshalb hat er auch eine hohe Motivation, sein Verhalten zu überdenken und Anregungen aufzunehmen. In einer solchen Situation ist man aufmerksam für Neues und probiert es direkt aus. Hat es geklappt? So entsteht eine kurze Feedbackschleife, die das Lernen erleichtert . Man erfährt, was passt und was nicht funktioniert. Und wenn etwas erfolgreich war, wird es in das Führungsrepertoire übernommen.

Für die Firma ist es daneben noch prima, dass Googeln nichts kostet außer Arbeitszeit. Die Eigeninitiative wird gefördert und – bei Erfolg – durch die gemeisterte Situation belohnt.

Sich schnell schlau machen...

Also klickt sich Herr Lembrinck durch und ist schnell auf eine klare Empfehlung gestoßen. Er liest: „…Der Mitarbeiter ändert sein Verhalten nicht, ein weiteres Gespräch wird nötig. Jetzt muss der Vorgesetzte nachdrücklicher auftreten und den Mitarbeiter erneut darauf hinweisen, was von ihm erwartet wird. Dabei sollte der Chef auch vermitteln, dass er als Führungskraft nicht locker lassen wird. Es gilt aber, sachlich konsequent und im Ton fair zu sein. Man darf sich nicht dazu hinreißen lassen, verletzend oder ausfallend zu werden. Schon für das zweite Gespräch ist es ratsam, sowohl den Gesprächsverlauf als auch eine überprüfbare Vereinbarung sowie einen Überprüfungstermin schriftlich festzuhalten. Auch hier haben Forscher festgestellt, dass rund 80 Prozent der Konflikte nach dieser Stufe erledigt sind. (https://www.zeit.de/karriere/beruf/2012-08/chefsache-konfliktmanagement, Abruf 24.1.20)

Das leuchtet Herrn Lembrinck sofort ein. Er überlegt sich die besten Argumente, um nachdrücklich aufzutreten, und bereitet ein Gesprächsprotokoll vor.

Aber Stopp mal! Wie wäre es denn weitergegangen, wenn Herr Lembrinck auf eine andere Website gestoßen wäre?

...oder doch anders?

„…Natürlich muss eine Führungskraft wirtschaftliche Vorgaben erfüllen. Die Beziehung zu ihren Mitarbeitern besteht aber nicht nur aus Kennzahlen… wo Konflikte im Team auftreten oder ein Angestellter berufliche Ziele äußert, sollte die Führungskraft Menschlichkeit zeigen – im Sinne von wahrem Interesse sowie einem offenen Ohr. Aktives Zuhören lautet das Schlüsselwort. Ein Mitarbeiter, dem zugehört wird, ist zufriedener als jener, welcher sich übergangen fühlt. Auch dann, wenn die Antwort schlussendlich trotzdem „Nein“ lautet. Der Dialog auf Augenhöhe macht also den Unterschied.“ (https://blog.instaffo.com/fuehrungskraft-vs-mitarbeiter-nie-wieder-konflikte/ Abruf 24.1.20)

Weshalb das Internet kein guter Bildungsraum ist

Was ist denn nun richtig? Oder besser für mich? Die Masse der Informationen kann einen schier erschlagen. Auch wenn die Algorithmen immer schlauer werden, relevante Inhalte heraus zu sieben, ist es immer noch ziemlich zufällig, was wir lesen.

Und dann: Können wir einschätzen, ob die Informationen korrekt sind? Entsprechen sie dem aktuellen Wissenschaftsstand? Welche Expertise hat der Autor bzw. die Website vorzuweisen? Oder ist es nur irgendwo abgeschrieben? Oder schlichtweg Werbung? Eine solche Beurteilung fällt umso schwerer, desto weniger Grundlagenwissen wir in einem Bereich haben.

Im Internet erwarten wir kurze prägnante Inhalte. Schnell brechen wir ab und surfen weiter. Wer guckt schon Videos von 20 Minuten oder liest Texte länger als 8 Minuten? Folglich müssen die Informationen oberflächlich bleiben. Die Tipps werden knapp wie Kochrezepte erwartet. Für die ebenfalls wichtigen Voraussetzungen oder den Kontext der Anwendung interessiert man sich leider nicht.

Zudem geht es um Menschen und Kommunikation: Da sind die eigenen Anteile wichtig. Jeder hat blinde Flecken! Und diese erhellen sich durch Google leider gar nicht. Traurigerweise neigen wir intuitiv zum Falschen, zum „mehr desselben“ – weil uns das ja vertraut vorkommt! Die (zu) verträgliche Führungskraft beispielsweise wird Anleitungen zu noch verständnisvollerer Führung finden, dem dominanten Platzhirsch fallen die Tipps zur Durchsetzungsstärke ins Auge. Eine Entwicklung von Führungskompetenz in einem umfassenderen Sinn ist da nicht zu erwarten.

Schließlich ist Wissen nicht gleich Können. Das erwerben wir nur durch Üben. Die Lektüre der besten Torschuss-Tricks wird den Ball nicht ins Netz bringen. Beim Sport erwartet das auch keiner – komisch, als ob die Führung von Menschen einfacher wäre.

Was Google uns trotzdem lehrt

Die Qualitäten, die das Googeln so angenehm machen, sollten wir ernst nehmen und versuchen, sie in die Führungskräfte-Qualifizierung zu integrieren.

  • Das Just-in-time-Prinzip: Lernen passiert optimaler Weise dann, wenn Lernbedarf besteht, also ein individuell empfundenes Problem da ist. Dann sind wir offen für neues Wissen, neue Sichtweisen und Weiterentwicklung.
  • Die pro-aktive Haltung: Die Initiative geht von den Lernenden aus. Sie merken, wenn die bisherige Kompetenz nicht ausreicht, und sie machen den ersten Schritt, sich neues Wissen anzueignen.
  • Das Lernen durch Ausprobieren: Die Zyklen von "Lernbedarf erkennen" – "ausprobieren" – "reflektieren" sind der Prototyp jedes Lernens.

Wenn auch die Tipps & Tricks im Internet zu kurz gesprungen sind für ein Lernen von Führungskompetenz und die damit verbundene Persönlichkeitsentwicklung, so geben die aufgezeigten Prinzipien wertvolle Hinweise, wie Führungsfortbildung konzipiert sein sollte.

Folgerungen für die Führungsfortbildung

Ich denke, dass in der Führungsfortbildung beides verbunden werden kann:

  • Führungskräften eine systematische Grundlage geben, sowohl, was die Wahrnehmung und Gestaltung von Führungssituationen angeht, als auch bezüglich der Reflexion von eigenen Stärken und Schwächen und des daraus entstehenden Entwicklungsbedarfs.
  • Führungskräften Einfluss geben (und Verantwortung dafür einfordern!), welches Lernthema für sie gerade akut ist, und dazu eine leicht erreichbare Lernumgebung zur Verfügung stellen, bei der die Qualität der Lerninhalte sichergestellt ist.

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