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Professionelle Mitarbeiter-Orientierung

„Verständnis haben“, das fällt mir als erstes ein, wenn ich mir meinen idealen Chef vorstelle. Mir zuhören und meine Sichtweise gelten lassen, auch wenn er eine andere Position hat. Eine solche Position wünsche ich mir sogar, eine eigene Linie, klare Standpunkte. Jemand, der rumeiert oder sein Mäntelchen in den Wind hängt, der wäre nichts für mich. Aber er sollte mir auch Freiraum lassen, Entscheidungsspielraum und Verantwortlichkeit. Falls mal was schiefgeht, sollte er mich aufbauen und dann konstruktiv nach Verbesserungen suchen. Wenn ich nicht weiterweiß, soll er mir guten Rat geben und mich ermuntern. Und natürlich mich bejubeln, wenn mir etwas sehr gut gelungen ist…

„Zwinker-zwinker“ macht dann der andere Teil von mir, ich bin ja als Selbstständige mein eigener Chef: „Du bist aber anspruchsvoll!“. Ja, so sind sie, die Mitarbeiter!


Menschen sind keine Maschinen, sie bringen ihre persönlichen Einstellungen, Bedürfnisse und ihre emotionalen Reaktionen mit ein. Und jeder Jeck ist anders. Was ist Ihnen wichtig? Möglicherweise sehen Ihre Wünsche an einen Chef anders aus. Wenn Mitarbeiter zusammenarbeiten, entstehen soziale Beziehungen mit Deutungen und Rollen. Jede Kommunikation vermittelt zwischen den Zeilen auch Beziehungsbotschaften. Damit sollte eine Führungskraft aktiv umgehen. Egal, um welche Aufgaben es sich handelt, muss sie auch immer den Menschen, der sich damit beschäftigt, wahrnehmen und „beantworten“.

Obwohl erwiesenermaßen eine fehlende Mitarbeiterorientierung großen Anteil an Unzufriedenheit und Demotivation hat, werden Führungskräfte zu wenig darauf vorbereitet, wie sie einen guten, konstruktiven Kontakt zu ihren Mitarbeitern aufbauen können.

Typische Formen von mitarbeiterorientierter Führung zeigt diese Grafik:

Kernelement: die individuelle Behandlung

Damit die Erwartungen (beider Seiten!) realistisch bleiben, darf man den beruflichen Rahmen nicht vergessen. Die Abteilung ist keine Familie und auch kein Freundeskreis. Das merken selbst begeisterte Start-ups schmerzlich, wenn die Zahlen nicht stimmen. Mitarbeiterorientierung als Führungsdimension dient dazu, den Menschen in einen guten arbeitsfähigen Zustand zu bringen. Das kann sie auch sehr gut, wenn sie richtig eingesetzt wird! Das Kernelement ist die individuelle Behandlung: Ich schaue auf den Mitarbeiter. Was braucht er jetzt? Was kann ich als Führungskraft sagen und tun, damit er gut gerüstet, zuversichtlich und ambitioniert an diese Aufgaben geht?

Dazu gibt das Situative Führungsmodell ein gutes Gerüst. Das Ausmaß an individueller Behandlung richtet sich nach dem Wissen, Können und Wollen des Mitarbeiters.

Kompetenzgrad 1 = geringe Kompetenz

 

Hier sollte (noch) nicht viel Zeit in individuelle Gespräche investiert werden. Die Anliegen von Anfängern sind recht ähnlich. Dem wenig kompetenten Mitarbeiter bringt die praktische Hilfestellung, z. B. über Checklisten, Beispielfälle oder Vormachen mehr.

Kompetenzgrade 2 – 3 = mittlere Kompetenz

 

Nun lohnt sich das gemeinsame Besprechen der Aufgabe, denn der Mitarbeiter wird dadurch befähigt, Lösungswege selbst zu erkennen und sie zukünftig eigenständig zu gehen. Je enger der Kontakt ist, desto besser kennt der Chef den Mitarbeiter. Er kann differenzieren: Der eine ist vielleicht ängstlich und sollte ermutigt werden, ein anderer überschätzt sich leicht und muss eher zu Vorsicht und Sorgfalt angehalten werden.

Kompetenzgrad 4 = Hohe Kompetenz

 

Solch gute Mitarbeiter können (und wollen meist auch) an der langen Leine geführt werden. Allerdings sollte man sie nicht ganz loslassen: Experten brauchen immer noch die Anbindung an die Entwicklung im Unternehmen. Diese können sie durchaus mitgestalten! Partizipation und über-den-Schreibtischrand-hinausdenken sind wichtige Aspekte.


Fallbeispiel „Die neue Bonus-Regelung“: vier individuelle Mitarbeitergespräche

Mit diesem Fallbeispiel möchte ich Ihnen veranschaulichen, wie unterschiedlich Mitarbeitergespräche ablaufen können, wenn sie individuell auf die Kompetenz abgestimmt werden. Eine Teamleiterin, nennen wir sie Frau Linnenbrink, musste eine veränderte Bonusregelung an ihre Mitarbeiter, alles Sachbearbeiter in einem Dienstleistungsunternehmen, kommunizieren. Der Bonus war bisher an die durchschnittliche Bearbeitungsdauer geknüpft: je schneller jemand arbeitete, desto höher der Bonus. Ab dem nächsten Jahr soll zwischen Kundensegmenten unterschieden werden. Bei der Bearbeitung von Neukunden und Potenzialkunden wird das Bearbeitungstempo mit einem Faktor 1,5 gewichtet. Insgesamt wurde das Ziel auch leicht erhöht.

 

Wenn es ans Portemonnaie geht, wird jeder empfindlich, und so hatte Frau Linnenbrink vorausschauend Einzelgespräche terminiert, nachdem sie die Regelung kurz grundsätzlich im Team-Meeting vorgestellt hatte.

Kompetenzgrad 1

Herr Kemmerath hatte erst vor vier Monate angefangen. Sein Bearbeitungstempo war noch unterdurchschnittlich – verständlich, denn er musste noch häufig in den Beschreibungen nachschlagen bzw. auch Kollegen fragen. Er guckte Frau Linnenbrink etwas mürrisch an. „Das macht es noch schwerer für mich. Gerade die Neukunden sind doch schwierig, da liegt ja noch nichts vor.“ Die Teamleiterin ging auf seinen Unmut nicht ein, sondern legte zwei Ausdrucke auf den Tisch: „Schauen Sie mal, Herr Kemmerath, das sind Ihre Bearbeitungszeiten nach den Kundengruppen aus dem letzten Quartal.“ Sie hatte einige Zeilen markiert. „So wie Sie bisher arbeiten, dauern gerade die sensiblen Fälle länger. Sollen wir mal gucken, wie Sie das ändern können?“ „Ist ja wohl eine rhetorische Frage! Klar, muss ich doch.“ „Ich habe Ihnen dazu eine Checkliste erstellt. Gehen wir die einmal durch. Morgens rufen Sie Ihre Fall-Übersicht auf, nicht wahr? Dann sehen Sie die rot blinkenden Anträge, die schon länger als drei Tage eingegangen sind. Rechts finden Sie die Spalte mit der Kundenkennung. Nun rufen Sie die Anträge auf, die als N oder P markiert sind und rot blinken.“ Herr Kemmerath fragte nach: „Aber doch einen nach dem anderen, oder?“ „Nicht unbedingt“, erwiderte die Teamleiterin, „schauen Sie in zwei oder drei rein und notieren Sie, welche Fragen Sie dazu haben. Dann können Sie mir oder einer Kollegin die gebündelten Fragen vorlegen und sparen uns und sich Zeit. Wenn dann noch Unterlagen vom Antragsteller fehlen, dann erkennen Sie das schnellstmöglich und können es taggleich anfordern…“ Frau Linnenbrink hatte sich konkrete Gedanken gemacht und erklärte das aus ihrer Sicht beste Vorgehen.

Bei einem wenig kompetenten Mitarbeiter bringt es Sicherheit und Zuversicht, wenn er konkrete Hinweise bekommt, wie er sich verbessern kann. Von eigentlich freundlichen Fragen wie „Was haben Sie denn für Ideen?“ rate ich eher ab. Was soll er sagen, wenn er es nicht besser weiß? Einen Mitarbeiter in die Lösungsfindung einbeziehen, das setzt entsprechende Fähigkeiten voraus. So ist es bei dieser Mitarbeiterin:

Kompetenzgrad 2

Frau Weber war fachlich schon versierter, aber noch nicht gut, denn sie hatte als Quereinsteigerin nicht das gleiche fachliche Basiswissen wie die Kollegen. „Das macht es noch schwerer für mich“, so könnte sie mit genau der gleichen Aussage ins Gespräch gestartet sein. Doch Frau Linnenbrink reagierte anders. „Was haben Sie sich für Gedanken dazu gemacht, Frau Weber?“ „Die Neuverträge, die machen mich unsicher. Da ist ja alles neu anzulegen und ich darf keine Fehler machen. Da bin ich einfach langsamer. Und das wird nun bestraft.“ „Das tut mir aber leid, wenn Sie sich durch die neue Bonusregelung bestraft fühlen. Vielleicht kann ich Ihnen helfen?“ Frau Weber lächelte kurz. „Danke, aber ich muss es ja für mich lernen.“ „Und wie gehen Sie da vor, wenn Sie was lernen?“ „Wie – vorgehen? Also ich gucke jedes Mal in den Prozessbeschreibungen und in Beispielfällen nach. Was könnte ich denn noch tun?“ „Sind denn alle Neufälle gleich?“ „Ne. Also die Privatpersonen sind schon leichter. Schlimmer sind die Gesellschaften, so komplex!“ „Genau“, pflichtet Frau Linnenkamp bei, „und wie können Sie das beim Lernen berücksichtigen?“ Frau Weber hält einen Moment inne und starrt an die Decke, dann nimmt sie einen Post-it-Block, schreibt Buchstaben drauf und verteilt insgesamt fünf Zettel auf dem Schreibtisch. „Ich habe da gerade eine Idee. Schauen Sie: ich sortier mal nach Schwierigkeit. Hier, die Privatpersonenanträge mit Standardwünschen, dann die mit Sonderwünschen, dann die Gesellschaften mit …“ Frau Weber legt dar, wie sie die Anforderungen empfindet. Frau Linnenbrink leitet sie mit Fragen dahin, ihren eigenen Weg zu finden: „Wie können Sie die Bearbeitungszeit bei den einfachen Neuanträgen verkürzen?“ „Wie können Sie verhindern, dass schwierige Fällen lange liegen bleiben?“ „Wie können Sie Ihre Erkenntnisse irgendwie speichern, wenn Sie einen schwierigen Antrag fertig haben?“ Am Ende ist Frau Weber wieder zuversichtlich. „Vielleicht“, meint sie schmunzelnd, „ist diese Bonusverschärfung ja ein heilsamer Zwang für mich, meine Arbeitstechnik zu verbessern. Jedenfalls ist mir heute klargeworden, dass ich meinen Bonus nicht aufgeben will.“

Eine Mitarbeiterin mit einer ausreichenden fachlichen Basis und der richtigen Einstellung kann durch kluge Fragen dahin gebracht werden, Lösungen selbst zu entwickeln. Diese sind dann passgenauer als welche von der Chefin. Außerdem fühlt man sich den eigenen Vorschlägen mehr verpflichtet. Darüber hinaus soll sich das Vorgehen einprägen: Bei ähnlichen Anlässen könnte sich Frau Weber die Fragen der Führungskraft selbst stellen: „Sind denn alle gleich? Wie kann ich mein Lernen organisieren?“ usw. Die ausführliche Mitarbeiterorientierung in diesem Kompetenzbereich kostet Zeit, aber sie ist eine gute Investition in die Entwicklung der Mitarbeitenden.

Kompetenzgrad 3

Herr Lettmann war ein erfahrener Sachbearbeiter, aber er war nicht perfekt. Frau Linnenbrink wusste um seine Schwächen, z. B. dass er immer sehr ablehnend auf Neuerungen reagierte. Deshalb hatte sie auf einem Gespräch bestanden, obwohl sie sicher war, dass er sich fachlich ohne Probleme auf die neue Bonus-Regelung einstellen konnte. Geduldig hörte sie zu, als er argumentierte, weshalb er das alles für überflüssig hielt. „Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Lettmann, dass Sie die neue Regelung ablehnen und Ihre Bearbeitungsroutinen nicht verändern wollen? Das finde nicht gut.“ „Ja, okay, dann sagen Sie mir doch, was ich ändern soll!“, antwortete Herr Lettmann. Aber darauf lässt sie sich nicht ein. „In Ihre Arbeitsweise will ich nicht eingreifen. Sie sind ein Leistungsträger im Team. Aber ich möchte Sie überzeugen, was der Sinn und Zweck hinter der Änderung ist. Sie sind ein kritischer Geist, das wird nicht leicht – darf ich es dennoch versuchen?“ Herr Lettmann hatte bei dem „kritischen Geist“ schon etwas gelacht. Sie kannten sich und hatten einen guten Draht. „Ja, legen Sie los.“ Frau Linnenbrink hatte die Gesamtzahlen der Antragsabteilungen mitgebracht. Sie zeigte, dass in den letzten Jahren die Bearbeitungsdauer gerade bei den sensiblen Neu- und Potenzialkunden übermäßig gestiegen war. Die hohe Stornoquote von Neukunden könnte damit zusammenhängen. „Und wie ist das bei Ihnen, Herr Lettmann?“ wollte sie wissen. Anders als bei dem neuen Mitarbeiter hatte sie die Zahlen hier nicht vorbereitet. Die Teamleiterin schob ihr Notebook hinüber, damit Herr Lettmann die entsprechenden Controllingzahlen aufrufen konnte. „Da, ich bin besser als der Firmendurchschnitt“, konstatierte er stolz. „Und bei den Kundengruppen untereinander…?“ „Tja, beim Neugeschäft bin ich wirklich nicht langsam, aber ich sehe da, erstaunlicherweise, also ich weiß auch nicht wieso, diese Potenzialkunden, die fallen mir irgendwie durchs Raster.“ „Wollen Sie das ändern? Ich würde das begrüßen!“ Die Fragen von Frau Linnenbrink sind bei dem erfahrenen Mitarbeiter etwas fordernder. „Tja, ich muss mir das noch überlegen. Sie kennen mich ja, ich muss mich erst langsam mit den Dingen anfreunden.“ „Herr Lettmann, es würde mich sehr freuen, wenn Sie bei den Potenzialkunden noch ein Schüppchen drauflegen könnten. Ihnen fällt es fachlich doch leicht.“

Auch mit einem guten Mitarbeiter setzt sich die Führungskraft individuell auseinander, allerdings thematisiert sie nicht die konkrete Umsetzung. Das kann so jemand alleine, was auch anerkannt werden sollte. Vielmehr geht hier es um das richtige Verständnis, um den Sinn hinter Aufgaben und Veränderungen. Der Knackpunkt im Beispiel war der Veränderungswiderstand. Es kann aber auch mit Problematiken wie besonderer Vorsicht, Kontrollbedürfnis, mangelnder Flexibilität oder fehlender Kooperativität zu tun haben. Bei guten Mitarbeitern muss die Führungskraft die Engpässe wie auch die Stärken kennen und darauf hinwirken, dass eine Entwicklung im Sinne des Unternehmens in Gang kommt.

Kompetenzgrad 4

Frau Fabrici war die beste Mitarbeiterin im Team. „Wir können das Gespräch abkürzen“, eröffnete sie lächelnd, „Ich habe die Botschaft hinter der Bonus-Änderung verstanden und werde sie umsetzen.“ „Vielen Dank, das hatte ich gehofft“, antwortete Frau Linnenbrink, „aber ich möchte doch noch mit Ihnen sprechen“. Sie berichtete von der Strategietagung, aus der auch die Bonusregelung hervorgegangen war. Die Kunden sind anspruchsvoller geworden, sie sind sofort weg, wenn etwas zu lange dauert oder sonstwie nicht passt. „Was meinen Sie, Frau Fabrici, reicht die Bonusänderung? Oder sollten wir noch was tun?“ Das war noch eine andere Fragestellung als in den Gesprächen mit den Kollegen. Doch Frau Fabrici wurde öfters um Ihre Sichtweise gefragt, und sie machte sich auch gerne Gedanken. „Also grundsätzlich finde ich das gut, und die Kollegen werden ihre Prios auch verändern. Das wird schon was bringen. Aber ich sehe noch viele Möglichkeiten, die wir links liegen lassen.“ „Was sollten wir tun?“ „In meinem nebenberuflichen Studium haben wir z.B. neulich über Crowd Intelligenz gesprochen. Viele Firmen beziehen die Kunden in Verbesserungsprozesse direkt mit ein. Könnten wir das nicht auch? Wir wissen doch gar nicht, worauf welche Kundengruppen wirklich empfindlich reagieren. Hat mal jemand bei uns eine Customer Journey beschrieben? Da sind wir einfach altbacken unterwegs.“

Ein optimaler Mitarbeiter braucht keine Unterstützung, und Anerkennung bekommt er durch seine Arbeitsergebnisse. Mitarbeiterorientierung bedeutet hier, durch Impulse und Gestaltungsmöglichkeiten die Entwicklung weiter in Gang zu halten. Vielleicht hat Frau Fabrici als Folge des Mitarbeitergesprächs ein kleines Projekt an der Backe – aber ich wette, sie wird Frau Linnenbrink weiterhin als gute Chefin empfinden. Als jemand, der ihr ermöglicht, das zu leisten, was in ihr steckt.

...mir ermöglichen, das zu leisten, was in mir steckt!


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