Eine alltägliche Situation: Eine Mitarbeiterin kommt mit einem Anliegen. Die routinierte Führungskraft entscheidet sofort. Aber auch richtig? Mit nur ein paar zusätzlichen Minuten erreichen Sie mehr!
Herr Nossen war leicht im Stress. Der Bericht für morgen war immer noch nicht fertig, und das Meeting würde schon früh beginnen. Aber jetzt, am späten Nachmittag, konnte er wenigstens ruhig arbeiten. Das Telefon klingelte, Frau Gerlitz. „Hallo Herr Nossen, ich wollte Sie mal fragen, ob es okay ist, wenn ich den Spätdienst morgen mit Frau Pavić tausche? Die ist auch einverstanden und würde dafür am Mittwoch früher gehen.“
Herr Nossen runzelte die Stirn. „Frau Gerlitz, Sie hatten doch schon letzten Freitag frei. Und Frau Pavić wird mir zu oft für so was herangezogen, nur, weil sie die Jüngste in der Abteilung ist. Nein, so geht das nicht. Wir machen montags den Plan für die Woche, und da halten Sie sich bitte dran.“
Ist das ein Führungsgespräch? Aber ja! Auch wenn es nicht vom Chef ausgeht. Wie oft kommen im Führungsalltag solche kleinen Anfragen vor, die schnell entschieden werden müssen. Machen Sie sich dabei Gedanken, welche Führungssignale Sie senden? In welchem Führungsstil Sie gerade agieren? Wahrscheinlich nicht. Und doch prägen diese Gespräche den Eindruck, den Ihre Mitarbeiter von Ihnen haben, viel mehr als das eine sorgsam vorbereitete Jahresgespräch.
Alltagsgespräche prägen den Führungseindruck
Herr Nossen hatte eben spontan aus dem Bauch abgelehnt. Vielleicht hat er schlechte Erfahrungen mit einem Team, was Regelungen immer wieder umwirft. Jemand anders hätte vielleicht ebenso spontan zugestimmt, weil er Mitarbeiter gerne zufriedenstellen will. Beispielsweise so:
... „Hallo Herr Nossen, ich wollte Sie mal fragen, ob es okay ist, wenn ich den Spätdienst morgen mit Frau Pavić tausche? Die ist auch einverstanden und würde dafür am Mittwoch früher gehen.“
„Hallo Frau Gerlitz! Wenn sie untereinander tauschen, das ist doch in Ordnung. Die Mindestbesetzung ist ja dann vorhanden. Was haben Sie denn Schönes vor am Freitagnachmittag?“
„Meine Schwester ist zu Besuch, und da können wir was unternehmen. Das Wetter soll auch wunderbar werden...“
Das wirkt doch gleich viel mitarbeiterorientierter, oder? Das kommt darauf an, wen Sie fragen! Frau Gerlitz ist sicherlich zufrieden, sie ist mit ihrem Anliegen durchgekommen. Aber Frau Pavić? Herr Nossen hat zugestimmt, dass sie nun zum zweiten Mal den Freitags-Spätdienst macht. Sie ist neu im Team – was könnte ihre Perspektive auf die Situation sein?
- Die langjährigen Mitarbeiter nehmen sich mehr Rechte?
- Wenn du den Chef kurzfristig anfragst, sagt er schnell Ja?
- Private Unternehmungen sind wichtiger als der abgestimmte Teamplan?
- Es lohnt sich, Stunden zu schinden, um gezielt freie Nachmittage zu bekommen?
Das weiß Herr Nossen nicht.
Manch ein Anliegen ist vielschichtiger, als es zunächst wirkt
Die Führungskraft muss nicht gleich eine Konferenz einberufen, aber etwas mehr vertiefen sollte sie die Anfrage schon. Dazu eignet sich dieses dreistufige Schema:
- Das Anliegen des Mitarbeiters erkunden und verstehen
- Checken, ob Führungsinteressen berührt werden
- Entscheiden
Schritt 1: Das Anliegen des Mitarbeiters erkunden und verstehen
Das wichtigste ist hier, die spontane Entscheidung zu vertagen, und durch Fragen und aktives Zuhören die Mitarbeiterin zu bewegen, mehr zum Umfeld ihres Anliegens zu berichten, z. B. so:
... „Hallo Herr Nossen, ich wollte Sie mal fragen, ob es okay ist, wenn ich den Spätdienst morgen mit Frau Pavić tausche? Die ist auch einverstanden und würde dafür am Mittwoch früher gehen.“
„Ah, verstehe ich Sie richtig, Sie sind morgen für den Spätdienst eingetragen und wollen früher gehen, dafür bleibt dann Frau Pavić?“
„Ja genau.“
„Wie oft hatten Sie denn schon den Freitagsspätdienst in diesem Monat?“
„Diesen Monat war ich noch nicht dran. Das wäre mein einziger gewesen.“
„Und Frau Pavić?“
„Hm, ich glaube, die hatte letzten Freitag schon mal Spätdienst.“
„Also dann wäre Frau Pavić jetzt zweimal hintereinander dran?“
„Ja, schon, aber... sie ist damit einverstanden!“
„Wir haben ja einen Teamplan für die Woche, den wir montags im Meeting nochmal angucken. Weshalb muss der denn kurzfristig aus Ihrer Sicht geändert werden?“
„Ich habe da persönliche Gründe. Ich möchte gerne was privat unternehmen. Aber außerdem habe ich auch so viele Plusstunden, da wäre es gut, wenn ich die abbaue, damit da nicht wieder was gestrichen wird.“
„Sie möchten also aus privaten Gründen früher gehen, aber das würde auch dem Stundenabbau dienen?“
„Ja, genau.“
„Wie ist es denn gekommen, dass Ihr Stundenkonto immer noch so hoch ist?“
„Anfang des Monats konnte ich schon ein paar Stunden abbauen, aber letzte Woche, mit der Multiplikatorenschulung, da sind wieder vier Stunden dazugekommen. Das ging einfach so lange.“
„Also, Sie haben sich schon bemüht, aber Ihre Erfolge sind durch die Schulung wieder zunichtegemacht worden?“
„So ist es. Und ich fände es echt ungerecht, wenn die Stunden dafür nicht bezahlt würden.“
...
Die Führungskraft konzentriert sich darauf, genau zu verstehen, wie die Sache aus Sicht der Mitarbeiterin aussieht. Das Themenspektrum hat sich damit erweitert: zu dem Spätdienst-Tausch kommen Ungleichverteilung im Team und Überstundenprobleme hinzu.
Ist es Ihnen aufgefallen? Herr Nossen legt sich selbst noch gar nicht fest. Er erkundet nur die Sichtweise der Mitarbeiterin. In der Gesprächsführung wechseln sich Aktives Zuhören (die Aussagen der Mitarbeiterin mit eigenen Worten zusammenfassen) und Fragen ab. So gewinnt er Zeit und Informationen, um eine richtige und ausgewogene Entscheidung treffen zu können.
Der nächste Schritt besteht darin, zu der eigenen Bewertung zu kommen.
Schritt 2: Checken, ob Führungsinteressen berührt sind
Damit sind sowohl die Werte gemeint, die Sie persönlich vertreten, als auch alles, für das Sie als Führungskraft im Unternehmen einstehen müssen. Beispielsweise:
- Einhaltung von Regeln und Prozessen
- Leistungsbereitschaft des Teams
- Gerechtigkeit
- Präzedenzfall vermeiden
Die Führungskraft kann das während der Erkundungsphase im Hinterkopf abwägen, aber auch im Gespräch 'laut denken'.
"Frau Gerlitz, ich überlege gerade, was mir da wichtig ist. Die Mindestbesetzung im Team ist ja gegeben, okay. Planungsprozesse sollten aber auch eingehalten werden. Klar muss man umplanen, wenn jemand wegen Krankheit ausfällt. Aber aus privaten Gründen? Wenn das jeder machen würde, wäre der Teamplan Makulatur. Dann möchte ich eine gerechte Verteilung der Spätdienste. Und über Ihre Plusstunden sollten wir nächste Woche reden.“
So ist für die Mitarbeiterin gleich transparent, nach welchen Kriterien der Chef entscheiden wird.
Schritt 3: Entscheiden
Nun könnte Herr Nossen im Fallbeispiel Nein zum Spätschicht-Tausch sagen, sein Bedauern aussprechen und das Gespräch beenden. Die Gründe liegen ja auf dem Tisch.
Frau Gerlitz wäre zwar jetzt enttäuscht, wüsste aber für die Zukunft Bescheid, dass sie freie Nachmittage beim TOP Wochenplan im Meeting ansprechen müsse, und außerdem darauf achten, dass keiner bei den Spätdiensten benachteiligt würde.
Herr Nossens könnte aber auch Kompromissbereitschaft zeigen. Vielleicht liegt ihm – wie in der zweiten Beispielszene – die Zufriedenheit der Mitarbeitenden am Herzen. Vielleicht erinnert er sich, dass sich Frau Gerlitz aus Teamgeist für die Moderatorenschulung gemeldet hat, als sonst keiner wollte.
Stolperfalle Harmoniestreben
Aber Achtung: Wenn er zunächst seine Kriterien aus Führungssicht wie oben ausführt, und dann Fünf grade sein lässt, welches Signal sendet er dann? Dass er zwar Prinzipien hat, aber sie nicht durchsetzt. Das ist nicht gut!
Seine Rahmenbedingungen müssen Teil der Lösung sein. Jedoch kann der Lösungsraum weiter und flexibler gedacht werden.
„Frau Gerlitz, wie können wir denn vorgehen, damit meine Kriterien erfüllt sind?“
„Das geht nicht. Meine Schwester ist nur noch dieses Wochenende zu Besuch. Wenn ich am Montag für die nächste Woche frage, ist es zu spät.“
„Was könnten Sie denn anderes tun, damit die Planung im Team weiterhin wichtig genommen wird?“
„Vielleicht könnten Sie am Montag im Meeting nochmal betonen, dass es eine Ausnahme war, und ich würde dem zustimmen. Oder was meinen Sie?“
„Das ist eine gute Idee. Allerdings möchte ich, dass Sie die Angelegenheit alleine vortragen. Dann ist dieser Aspekt für mich gewährleistet. Okay? Da bliebe noch die Ungleichverteilung der Freitagsspätdienste...“
„Ach ja. Hm. Der Monat ist nächste Woche vorbei. Wäre es für Sie in Ordnung, wenn ich das im nächsten Monat ausgleiche? Also den Dienst von Frau Pavić mitübernehme? Da müsste ich allerdings erstmal schauen, ob ich da überhaupt kann.“
„Damit bin ich einverstanden. Bis wann können Sie den Plan überprüft haben, ob Sie am Termin von Frau Pavić Zeit haben?“
„Das mache ich gleich. Sind Sie dann noch erreichbar?“
„Ja. Leider sitze ich noch an einem längeren Bericht...“
„Dann bis gleich. Und vielen Dank!“
Lösungsideen vom Mitarbeiter erfragen
Haben Sie bemerkt, dass die Lösungsideen im Fallbeispiel von Frau Gerlitz kamen? Die Führungskraft hat lediglich durch Fragen dazu aufgefordert, die Rahmenbedingungen aus Führungssicht zu berücksichtigen.
Auch wenn eine Lösung naheliegt, ist es besser, die Formulierung dem Mitarbeiter zu überlassen. Dann ist es SEINE Idee, und das erhöht die Verbindlichkeit.
Obwohl in der letzten Variante des Gesprächs die Mitarbeiterin mit ihrem Anliegen durchkommt, also den Spätdienst tauschen kann, sind auch die Kriterien der Führungskraft erfüllt. Zwar nicht sofort, aber dem Wesen nach. Das macht den Kern eines Kompromisses aus, dass jeder etwas bekommt und etwas zugesteht.
Aus Führungssicht ist jedoch entscheidend, was sich im Kopf der Mitarbeiterin abgespielt hat: Frau Gerlitz hat überlegt, wie sie die Rahmenbedingungen des Chefs gewährleisten kann. Wahrscheinlich wird sie das demnächst auch schon im Vorfeld einer Anfrage tun.
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