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Mitarbeiter-Beurteilung im Wandel der Zeiten

Heute ist digitales Feedback im Arbeitsalltag schnell und leicht möglich. Doch ist alles sinnvoll, was möglich ist? Kommen Sie mit auf eine kleine Zeitreise, wie sich Mitarbeiterbeurteilungsverfahren seit Anfang des letzten Jahrhunderts entwickelt haben. Was wurde alles versucht? Welche Ziele mussten aber auch aufgegeben werden?

historische Industrieanlage mit großen Rädern
© Peter H./tama66, Pixabay-Lizenz 2022

Arbeitsleistung verbessern

Am Beginn der Industrialisierung herrschte eine große Euphorie, wie Produktivität und Wohlstand durch wissenschaftliche Forschung verbessert werden könnten. „Scientific Management“ war das Stichwort. In den neuen Fabriken wurden schon damals die Arbeitsflüsse gemessen, um optimale Abläufe zu finden und den Arbeitern die höchstmögliche Effizienz zu ermöglichen.

Dazu wurden auch die Leistungen der einzelnen Arbeiter und Arbeiterinnen erhoben. Es wurden gefertigte Stückzahlen und Arbeitstempo ermittelt, oder bei Fließbandarbeit Ausschussquote und Stillstandszeiten.

…aber bei Büroarbeit?

Die Wertschöpfung in Verwaltungstätigkeiten konnte schlecht in diktierten Seiten pro Stunde abgebildet werden. Dieses Dilemma besteht bis heute fort! Selbst bei fallabschließender Sachbearbeitung gibt eine Kennziffer „durchschnittlich abgeschlossene Fälle pro Woche“ nicht wieder, wie komplex diese Fälle waren und wie gut die Bearbeitungsqualität.

Über die Sachbearbeitung hinaus trugen weitere Aspekte zur Gesamtleistung von Mitarbeitenden bei, wie beispielsweise Kundenorientierung in der Formulierung von Schreiben oder kollegiales Verhalten im Team.

Der Vorgesetzte in der Pflicht

Mitte des letzten Jahrhunderts gab man es auf, die Messungen aus den Fabriktätigkeiten auf die zunehmende Zahl von Büroarbeitsplätzen zu übertragen. Vielmehr nahm man nun die Vorgesetzten in die Pflicht. Diese sollten die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeitenden beurteilen.

Als Hilfestellung wurden erste Unterteilung der Arbeitsplatzbewertung zur Verfügung gestellt, z. B.

  • Verhalten in der Arbeitsgemeinschaft
  • Qualität der Arbeitsausfühung
  • Quantitative Leistung

(nach Bloch, 1959)

Die Beurteilungsskalen waren einfach, etwa an Schulnoten orientiert, und wurden um freie Formulierungen ergänzt.


Größer, schneller, weiter

In den 1960er Jahren nahm das Beurteilungswesen schnell Fahrt auf. Von ihm wurde ein zentraler Beitrag zur Personalpolitik erwartet. Um besser steuern zu können, wurden die Beurteilungsmerkmale feiner unterteilt. Man könnte auch lästern: „aufgebläht“.

Der Weltkonzern IBM beispielsweise war mit 3 Merkmalen gestartet und erreichte 1968 schließlich 64 Kriterien für 25 Funktionsgruppen.

Ohne Bedenken wurde auch die Beurteilung von Persönlichkeitsmerkmalen vorgenommen, die als „charakterologische Verhaltensweisen“ bezeichnet wurden. Ein Beispiel (nach Bieding, 1971):

  • Anpassung
  • Willensstärke
  • Menschenkenntnis
  • Schöpferische Phantasie
  • Kontaktfähigkeit

Rangskalendaten unzulässig verrechnet

Die Skalen blieben Einschätzstufen. Solchermaßen erhobene Daten haben – mathematisch gesehen – nur Rangskalenniveau. Das bedeutet, man kann voraussetzen, dass eine Einstufung in 2 besser ist als in 1 und eine Einstufung in 4 besser als in 3. Allerdings ist eine Bewertung mit 4 nicht „doppelt“ so gut wie eine von 2.

Eine anschauliche Metapher: bei einem Zentimetermaß sind 4 cm durchaus doppelt so lang wie 2 cm. Eine Rangskala ähnelt allerdings einem Gummiband. Je nachdem, wie stark ich ziehe, liegen die Punkte mehr oder weniger nah zusammen. Immer bleibt Punkt 4 weiter entfernt als Punkt 2, aber eben nicht doppelt so weit. Dies kann man mathematisch durch Messwiederholungen belegen. Einschätzungen zu verschiedenen Zeitpunkten oder von unterschiedlichen Beurteilern liegen nie genau zusammen.

Ungeachtet der mathematischen Unzulässigkeit wurden damals (und ich befürchte auch heute noch) mit den Beurteilungsskalen die kühnsten Berechnungen durchgeführt.


Enttäuschung und Nachbesserung

Die Erwartungen an Beurteilungsverfahren waren hoch und wenig differenziert. Die Personalabteilungen wollten einen aktuellen Überblick über die Kompetenzen der Belegschaft, um Besetzungen zu optimieren. Die Beschäftigten erwarteten sofortige und individuelle Förderung. Das ließ sich so meist nicht verwirklichen.

Dagegen fiel der bürokratische Aufwand doch ordentlich ins Gewicht. Alles waren ja Papierformulare, die physisch gesammelt und händisch ausgewertet werden mussten.

Die Datenqualität war auch dürftig. Beurteilungen der gleichen Person durch zwei verschiedene Beurteilende stimmten wenig überein, ebenso Beurteilungen vom gleichen Beuteiler zu verschiedenen Zeitpunkten, sofern man keinen Einblick in die erste Beurteilung hatte.

Man hielt aber weiterhin an dem Instrument fest, stellte es nicht in Frage, sondern versuchte es zu verbessern.

Methodische Verbesserungen

Nach dem Hype wurden die Verfahren in den 1970er und 1980er Jahren überarbeitet. Meist komprimierte man die Beurteilungsmerkmale auf eine übersichtliche Zahl. So begnügte sich IBM 1978 mit 8 Kriterien in 2 Funktionsgruppen.

Die Merkmale wurden als beobachtbare Verhaltensweisen formuliert und durch Untermerkmale erläutert. Vorgesetzte sollten nicht ihren allgemeinen Eindruck angeben, sondern das Arbeitsverhalten konkret beobachten und vermerken.

Die Skalen wurden nun grafisch gestaltet und unterteilt, um die Einschätzung zu erleichtern. Einzelne Skalenstufen wurden konkretisiert, also explizit beschrieben, teilweise für jedes einzelne Merkmal. So wurde den Beurteilern ein besseres Werkzeug an die Hand gegeben.

Überhaupt wurden die beurteilenden Menschen als wichtiges Teil des Instruments angesehen. Es wurde üblich, sie in Beurteilerschulungen auf das Verfahren vorzubereiten. Sie bekamen ausführliche Beurteilungsunterlagen an die Hand, um auch in den Jahren nach der Schulung ihr Wissen auffrischen zu können.

Zielkonflikte bleiben bestehen

Je mehr die methodischen Kinderkrankheiten überwunden wurden, desto mehr fielen aber die innewohnenden Widersprüche auf.

Sind Beurteilungsverfahren Instrumente des Personalmanagements? Dann ist die zentrale Sammlung von Informationen und deren Vergleichbarkeit wichtig. So können Besetzungsverfahren vorbereitet werden, Personalentwicklung firmenweit geplant und Personalanalysen vorgenommen werden.

Oder sind Beurteilungen Förderinstrumente für den einzelnen Beschäftigten? Kann kommt es auf ein vertrauensvolles Gespräch mit der Führungskraft an, auf Offenheit und persönliche Entwicklungsziele im praktischen Umfeld. Eine Dokumentation in der Personalakte ist dabei nicht so wichtig, ja vielleicht sogar schädlich, weil sie die Offenheit beeinträchtigt.


Diversifizierung

Schon gegen Ende des letzten Jahrhunderts fächerten sich die Umgangsweisen mit Beurteilungsverfahren auf. Einige Unternehmen ergänzten die Mitarbeiterbeurteilungen durch Vorgesetztenbeurteilungen, in denen die Beschäftigten ihren Führungskräften Feedback gaben. Andere Firmen konzentrierten sich auf die Entwicklung des individuellen Mitarbeiters und nannten die Verfahren „Mitarbeiterjahresgespräche“ oder „Entwicklungsgespräche“. Manche ergänzten solche dezentralen Tools durch zentrale Zielvereinbarungsgespräche, mit denen Unternehmensziele zu denr Arbeitsteams in die Fläche gebracht werden konnten. Wieder andere Unternehmen schafften Beurteilungsgespräche komplett ab.

Auch in der heutigen digitalen Zeit sind betriebliche Feedback-Verfahren ein wichtiges Thema. Online-Varianten sind vergleichsweise leicht durchzuführen. 360-Grad-Feedback bedeutet, dass man Beurteilungen nicht nur von der Führungskraft, sondern auch von Kollegen und ggfs. den eigenen Mitarbeitenden erhält. Mit Handy-Apps sind just-in-time Rückmeldungen zu einzelnen Aspekten wie einem Meeting oder Workshop leicht möglich.

Ausblick

Diese vielen technischen Möglichkeiten - lassen Sie sich davon nicht vom Wesentlichen ablenken! Es bleibt damals wie heute der erste Schritt, festzulegen, was ein Feedback-Verfahren leisten soll und wen es adressiert. Soll das Personalmanagement unterstützt werden? Oder soll es ein Tool für die Führungskräfte vor Ort sein?

Und alles Feedback ist nur dann der Mühe wert, wenn der Feedback-Nehmer in der Lage ist, es produktiv aufzunehmen. Nicht ein cooles Hinnehmen ist optimal, sondern eine Reflexion und eigengesteuertes Lernen.

Literaturangaben: Bieding, Fritz; Scholz, Konrad (1971): Personalführungssysteme, Bund-Verlag. Bloch, W. (1959): Arbeitsbewertung, Zürich.



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