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Die 4-Tage-Woche: Her damit! Oder besser doch nicht?

Schon seit längerem nimmt die 4-Tage-Woche in den Medien und Diskussionen Raum ein. Ist es nicht absolut vorteilhaft, statt fünf Tage die Woche nur noch vier Tage zu arbeiten? Jede Woche einen freien Tag! Weniger im Stau stehen und dafür Zeit für die eigenen Interessen, ob Care Arbeit oder Hobby.

Mehr Leben in jeder Woche – perfekt!

Erwachsene und Kinder vor stilisiertem Hintergrund mit bunten Häusern
(c) Gerd Altmann, Pixabay-Lizenz 2024

Freitags haben wir jetzt geschlossen

Und wenn der Friseursalon, die Kita oder der Elektriker nun auch nur vier Tage arbeiten? In der 4-Tage-Debatte stellt man sich automatisch digitale Arbeitsplätze vor, Wissensarbeit oder Bürosachbearbeitung, wo man die Leistungserbringung frei planen kann. Viele Arbeiten sind aber immer noch verdammt analog, angefangen bei der Autowerkstatt über Bauhandwerk, Krankenhäuser und ÖPNV bis zum Zahnarzt. Da haben wir dann wahrscheinlich zwei Seelen in der Brust: die Arbeitnehmerseele und die Kundenseele. Sind wir bereit, Abstriche bei den Öffnungszeiten und der Kundenerreichbarkeit zu machen?

Kampf in der Teamsitzung

Klar kann man durch kluge Schichtverteilung im Unternehmen die bisherige Erreichbarkeit aufrechterhalten. Gerne legen die Arbeitgeber die Verantwortlichkeit dafür in die Hände der Teams. Beteiligung, Mitverantwortung... das hört sich gut an, birgt aber ein großes Konfliktpotenzial, denn es gilt, den Mangel zu verteilen. Schematische Pläne, also jeder reihum mal dran, das ist formal gerecht. Es berücksichtigt aber kaum die Vielzahl möglicher individueller Rahmenbedingungen. Die einen haben kleine Kinder, die anderen einen langen Arbeitsweg, und wie geht man mit Teilzeitbeschäftigung um? Die erhoffte größere Arbeitszufriedenheit kann in Enttäuschung und Ärger umschlagen, wenn die praktische Umsetzung so schwierig wird.

Wieviel soll denn überhaupt gearbeitet werden?

Werden die bisherigen 39 Stunden nur auf vier Tage verteilt? Oder ist eine Absenkung auf 32 Stunden gemeint? Das geht in den Diskussionen oft bunt durcheinander. Es hat aber große Auswirkungen auf die Folgen.

Rückkehr zum 10-Stunden-Tag?

Wenn die individuelle Arbeitszeit nicht gekürzt, sondern nur auf vier Tage verteilt wird, ist das die logische Konsequenz. 10-Stunden-Tage waren vor hundert Jahren das Übliche. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Arbeiterbewegung für den 8-Stunden-Tag gekämpft. Er wurde aber erst 1946, nach einem kurzen Intermezzo in der Weimarer Republik, von den Alliierten eingeführt. Acht Stunden hieß damals allerdings 48-Wochenstunden an sechs Tagen, da allgemein samstags noch gearbeitet wurde.

Zehn Stunden sind verdammt lang. Welche Konzentration herrscht in der letzten Arbeitsstunde noch vor? Wird Ihr Antrag dann noch fehlerfrei bearbeitet, ihr Auto noch sorgfältig repariert? Zehn Stunden auf den Beinen sein, ob im Geschäft oder in der Pflege, das geht auf die Gelenke. Zehn Stunden aufgebrachte Kunden in der Beschwerde-Hotline, das geht auf die Nerven.

Wenn wir noch die Mittagspause und anderthalb Stunden Fahrtzeit pro Tag hinzurechnen, dann sind wir an Arbeitstagen 12 Stunden unterwegs. Ob man danach noch Kraft für den Sportverein oder das Kino hat? Ich wäre nur noch fürs Sofa zu gebrauchen. Und die Betreuung von Kindern, selbst älteren Schulkindern, ist mit solch langen Abwesenheiten wohl kaum zu vereinbaren.

20% Lohnerhöhung für alle

Das ist die Konsequenz einer 4-Tage-Woche mit den gewohnten 8-Stunden-Arbeitstagen. Für die Arbeitsnehmer vorteilhaft, bringt das jedoch eine enorme Kostensteigerung für die Unternehmen mit sich. Die Preise müssen vielleicht erhöht werden, die Inflation zieht an – und durch die geringere Kaufkraft fühlt es sich für die Arbeitsnehmer dann doch wie eine Gehaltseinbuße an. Wenn der Markt keine Preissteigerungen zulässt, z. B. durch ausländische Konkurrenz, dann sind Firmen in ihrer Existenz bedroht.

Können denn nicht die geringeren Arbeitsstunden durch eine erhöhte Produktivität ausgeglichen werden? In Berichten von Pilotprojekten wird so etwas immer geschildert. Die Beschäftigten arbeiten nur 32 Stunden, schaffen aber – super motiviert – das gleiche wie zuvor in 38 Stunden.

Der gleiche Workload in 80% der Zeit

Fragen Sie sich selbst: möchten Sie am Tag 20% mehr schaffen müssen? Die meisten Beschäftigten erleben schon jahrelang einen Trend zur Arbeitsverdichtung. Gemütliche Arbeitsplätze, an denen es im Tagesablauf Leerlauf gibt, wo man in Ruhe mit den Kollegen schwätzen und das eine oder andere Extra-Päuschen einlegen kann, die gibt es fast nicht mehr. Stattdessen müssen im Team Vertretungen geschultert werden, weil Mitarbeitende krank sind oder Stellen nicht besetzt werden können. Wie soll das gehen in noch weniger Arbeitszeit?

Technische Fortschritte

Tatsächlich gibt es Faktoren, die eine Produktivitätssteigerung erklären. Das ist beispielsweise eine verbesserte Technikunterstützung. Wenn bisher Anträge in Papierform eingingen und diese nun automatisch gescannt und dem Kunden zugeordnet werden, vielleicht auch mit einem Antwortvorschlag des Systems, dann kann die Sachbearbeiterin den Fall natürlich schneller abschließen. Wenn durch integrierte IT-System ganze Prozessschritte wegfallen und Schnittstellen begradigt werden, dann spart das Zeit. Der „Gewinn“ solcher Fortschritte kann gerne in Form von geringerer Arbeitszeit mit den Arbeitnehmern geteilt werden.

Anfangseuphorie

Ein weiterer Einflussfaktor ist die besondere Motivation in der Anfangsphase eines solchen Projektes. Wenn das Unternehmen Neuerungen verwirklicht, die sich die Beschäftigten wünschen, dann führt das zu höherem Engagement. Die Teams werden sich anstrengen, ob durch ein schnelleres Arbeitstempo oder Verbesserungsvorschläge im Arbeitsablauf, damit sie die Verbesserung ja nicht gefährden. Aber gehen Sie gedanklich mal fünf Jahre in die Zukunft. Nun ist die 4-Tage-Woche Gewohnheitsrecht. Es gibt neue Mitarbeitende, die kennen das nicht anders. Da wette ich, es wird sich keiner mehr besonders anstrengen. Dieser Produktivitätszuwachs wird wahrscheinlich nur kurzfristig wirken.

Fachkräftemangel

Volkswirtschaftlich betrachtet ruft eine Arbeitszeitverkürzung sicherlich Verwunderung hervor. An allen Ecken und Enden fehlen Fachkräfte. Die Firmen finden weder Azubis noch Vertretungen für Elternzeit. Rentner werden händeringend gebeten, freiwillig noch länger zu bleiben.

In besonders gebeutelten Branchen kann das Angebot einer 4-Tage-Woche wahrscheinlich zu mehr Bewerbern führen, so dass die Personallücken gefüllt werden können. Doch dafür werden sie woanders aufgerissen. Für die Volkswirtschaft ist dies ein Null-Summen-Spiel.

Keine einfachen Antworten möglich

Egal welches Modell gewählt wird, die Folgewirkungen sind erheblich und müssen mitbedacht werden. Aber abgetan kann die Diskussion um die 4-Tage-Woche auch nicht, sie trifft durchaus den Nerv der Zeit. So ganz aus dem luftleeren Raum kommt die Forderung wohl nicht. Welche zugrundeliegenden Bedürfnisse sehe ich?

Verringerung von Wegezeiten

In Zeiten der Wohnungsknappheit ist der Weg zur Arbeit oft lang. Einen Tag weniger im Stau stehen oder in überfüllten Zügen, das ist ein Vorteil. Hier kannversucht werden, ob mit digitalen Möglichkeiten Arbeitsaufgaben auch im Homeoffice erledigt werden können.

Längere Erholungsphasen

Ein Wochenende von drei Tagen bringt mehr Erholung. Man kommt so richtig mal raus und kann etwas unternehmen oder entspannen.

Soziale und private Verpflichtungen

Eine Arbeitszeitverkürzung schafft Entlastung für alle, die neben der Arbeit weitere Verpflichtungen haben. Ob es Care Arbeit für Kinder und/oder Eltern ist, ob ehrenamtliche Tätigkeiten oder ein Sportverein für die eigene Gesundheit – das kann man mit weniger Arbeitszeit leichter vereinbaren.

 

Wunsch nach Sinn

Gerade jüngere Beschäftigte bringen nicht das preußische Arbeitsethos mit. Karriere stellt keinen wichtigen Wert dar, sondern Lebensqualität. Nun: Leben gibt es auch auf der Arbeit! Unternehmen können Raum dafür schaffen, den Sinn der Arbeit zu erleben. Job Crafting und gute Führung sind dann ebenfalls Pluspunkte.

Individuelle Vereinbarungen

Arbeitsgeber haben auf jeden Fall die Möglichkeit, ihren Mitarbeitenden mit individuellen Vereinbarungen entgegenzukommen. Etliche Unternehmen engagieren sich auch für Kinderbetreuungsmöglichkeiten, je nach Größe mit einer Betriebs-Kita oder Belegplätzen in einer örtlichen Einrichtung.

Ja, das alles bedeutet Verwaltungsaufwand! Doch so können Sie gute Arbeitskräfte halten. Sie erfahren, dass sie Ihrer Firma etwas wert sind. Und vor allem können sie ihre jeweilige Lebenssituation mit den Arbeitserfordernissen in Einklang bringen.

Unsere Volkswirtschaft braucht qualifizierte Arbeitskräfte


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