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Selbstständig arbeiten - wenn Mitarbeitende das nicht wollen?

4 mögliche Ursachen und wie die Führungskraft damit umgehen kann

Mitarbeitende selbstständig arbeiten zu lassen gilt heute als angemessenes Führungsverhalten. Bei Schwierigkeiten wird die Ursache bei der Führungskraft gesehen: Sie kann oder will nicht loslassen. Ist es wirklich so?


In meiner langjährigen Beratungspraxis sind mir immer wieder Führungskräfte begegnet, die liebend gerne mehr Selbstständigkeit bei Ihren Beschäftigten gesehen hätten.

Wie schön wäre es doch, wenn alle Teammitglieder Probleme selbst lösen würden, wenn sie Prozessverbesserungen vorschlagen und ausarbeiten würden, wenn Initiativen gestartet und Entscheidungen eigenverantwortlich gefällt würden!

Stattdessen erfährt die Führungskraft vielleicht nebenbei, dass ein Problem schon länger bekannt ist, und die Mitarbeitenden abwarten, bis eine Weisung „von oben“ kommt. Die Beschäftigten beklagen sich über schlecht gelöste Schnittstellen, aber für Verbesserungen fühlen sie sich nicht zuständig. Vielleicht nutzen sie ihre Entscheidungsspielräume nicht aus und kommen mit jeder Einzelfallentscheidung zur Führungskraft, um sich abzusichern. Unselbstständige Mitarbeitende kosten die Führungskraft Zeit und Nerven.


ruhenden Kugeln einen Anstoß geben
© Peggy + Marco Lachmann-Anke, Pixabay-Lizenz 2021

Und wenn sich die Firma agiles Management auf die Fahnen schreibt? Dann kommt ein zusätzliches Momentum in die Situation, wenn die Führungskräfte genauer beobachtet werden. Das mag man als Druck empfinden, aber auch als Impuls. „Ja, wie bekomme ich meine Mitarbeitenden selbstständig? Ich kann es Ihnen doch nicht befehlen!“

Klar, das geht nicht. Aber Wege gibt es schon. Hier gilt es zu differenzieren: Wo rührt die Unselbstständigkeit im Einzelfall her? Was erhält sie aufrecht?

Ich will Ihnen nun 4 mögliche Szenarien ausmalen – und ableiten, was Sie als Führungskraft konkret tun können, um selbstständiges Verhalten zu fördern.


Szenario 1: Selbstständiges Arbeiten ist ungewohnt

Angenommen, die Mitarbeitenden sind in einer traditionellen Unternehmenskultur sozialisiert worden, in der gute Arbeit mit dem möglichst genauen Befolgen von Anweisungen gleichgesetzt wurde. Ich erinnere mich noch gut an ein OE-Projekt am Anfang meiner Berufstätigkeit. Dabei interviewte ich Mitarbeiterinnen einer Großküche nach ihrer Arbeitszufriedenheit. Eine meiner Fragen rief Stirnrunzeln hervor: „Inwieweit können Sie eigene Ideen verwirklichen?“. „Was für eigene Ideen?“, war die Gegenfrage. Keine hielt das für notwendig oder sinnvoll. Für mich als junge Personalentwicklerin war das ein Kulturschock.

Wer als neue Führungskraft eine Abteilung übernommen hat, die zuvor direktiv geführt wurde, wird diese Erfahrung auch gemacht haben: Die Mitarbeitenden verstehen zu Anfang nicht, was man eigentlich von ihnen will. Da sie keine Erfahrung mit selbstständigem Arbeiten haben, bleiben sie lieber in der Deckung und warten ab.

Konkretisieren – Schritt für Schritt

Der Entwicklungsweg besteht darin, seine Erwartungen wirklich ganz praktisch und konkret herunterzubrechen. So lernen die Beschäftigten nach und nach, die neuen Anforderungen zu verstehen und können sich an sie gewöhnen.

Ein Beispiel:

Auch nach der Einarbeitungszeit zeigte sich die neue Mitarbeiterin Frau Hütter als unselbstständig. Sie kam bei jeder neuen Aufgabe zur Abteilungsleiterin Frau Kern und fragte nach Anweisungen. Diese forschte nun nach: Was macht es so schwer, sich eigene Gedanken zu machen? Frau Hütter erzählte, dass sie zuvor lange Jahre in einem Familienunternehmen gearbeitet hatte, wo der Inhaber alles haarklein bestimmte. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass sie nun größere Freiheiten hatte. Sie vereinbarten, dass Frau Hütter ab sofort mehr selbst entscheiden sollte.

Doch so eine allgemeine Absprache wirkt oft nicht genug, so auch hier. Also setzten sie sich zu einem längeren Gespräch zusammen und konkretisierten:

  • Welche neuen oder unklaren Aufgaben sind in der letzten Woche vorgekommen?
  • Dann zu jeder Aufgabe: Welche Regelungen sind hier relevant? Wo sind sie zu finden?
  • Welche frühere Aufgabe war so ähnlich? Was kann man daraus ableiten?
  • Welche ein oder zwei Lösungswege sind vorstellbar? Welche Risiken oder Unklarheiten gibt es dazu?

Frau Hütter erstellte sich eine Art Checkliste mit den Fragen, die sie bei neuen Aufgaben abarbeitete, bevor sie zur Chefin ging. So eine Struktur gab ihr Sicherheit, und sie gewöhnte sich daran, dass sie neue Problemlösungen zunächst selbst erarbeitete und nicht alles vorgegeben bekam.


Szenario 2: Gebrannte Kinder

Das selbstständige Denken und Handeln wurde Mitarbeitenden mitunter ausgetrieben. Mir hat einmal ein Beschäftigter, den ich in einer Stresssituation zum Mitdenken aufforderte, geantwortet: Nein, er sei zum Arbeiten da und nicht zum Denken. Das hätte man ihm mal so gesagt. Und in seiner Stimme schwang noch die ganze Kränkung mit, die er damals wohl erlebt hatte.

Wenn man mit Schwung und neuen Ideen in eine Abteilung kommt und dort mit Killerphrasen à la „Das haben wir schon immer so gemacht.“ abgeblockt wird – was soll man denn daraus lernen? Das ist doch verständlich, wenn Mitarbeitende denken: „Dann eben nicht“.

Auch die Fehler- und Lernkultur ist relevant: Wer anfangs gerne Verantwortung übernommen hat, aber bei den ersten Schwierigkeiten alleine gelassen wurde, der wird sich das nicht noch einmal antun. Wenn, statt nach Wirkzusammenhängen und Ursachen eines Scheiterns zu forschen, nur nach vermeintlich Schuldigen gesucht wird, dann schafft man gebrannte Kinder, die Selbstständigkeit scheuen, verständlicherweise.

Kulturentwicklung

Nach meiner Erfahrung ist das eine schwierige Situation, in der ich zu vorsichtigem, langsamen Vorgehen rate. Haben sich die Rahmenbedingungen wirklich verändert? Wenn ein neuer Chef mit kooperativen Visionen alle ermutigt, sich aus der Deckung zu wagen und Mitverantwortung zu übernehmen, dann darf da auf keinen Fall etwas schiefgehen. Schon kleinere Enttäuschungen können wieder alles zunichtemachen. Deshalb empfehle ich, als erstes Vertrauen aufzubauen.

Ein Beispiel:

Nach einer Fusion, die nur formal „auf Augenhöhe“ erfolgt war, hatte Herr Kekec die Leitung einer Abteilung übernommen, deren früherer Chef im Streit gegangen war. Die Mitarbeitenden wirkten verunsichert bis misstrauisch. Sie redeten gerne von der schönen Vergangenheit vor der Fusion.

Als nun die Jahresziele kamen, bat Herr Kekec alle, sich Gedanken dazu zu machen. In der Teamsitzung kam aber gar nichts. Die Diskussion war kühl bis sarkastisch. Herr Kekec war sehr enttäuscht, denn er konnte doch nichts dafür, was für Erfahrungen die Teammitglieder in der Fusionszeit gemacht hatten.

Im Coaching konnte er seine Enttäuschung loslassen und entschied sich, seine Mitarbeitenden da abzuholen, wo sie waren, nämlich in einer Vertrauenskrise. Dazu organisierte er einen zweitägigen Workshop, der zum Näherkommen und Sich einlassen Raum bot.

  • Wie habe ich die Fusion erlebt?
  • Was hat meine Arbeit früher ausgemacht? Was waren unsere Stärken und Potenziale? Und was möchte ich gerne in die fusionierte Firma einbringen?
  • Welche Befürchtungen habe ich?
  • Zukunftssprung: Angenommen, in 5 Jahren kommen wir zusammen und haben uns erfolgreich zusammengerauft, was würden wir dann diskutieren?
  • Wie kann uns die Arbeit an den Jahreszielen in genau diese Richtung voranbringen?

Szenario 3: Selbstständig agieren ist anstrengend und riskant

Unselbstständiges Arbeiten kann sehr bequem sein. In einem Workshop lernte ich vor Jahren den Spruch kennen: „Morgens eine Viertelstunde dumm gestellt, spart Mühe für den ganzen Tag.“ Hat sich jemand erst einmal den Ruf „erarbeitet“, mit Problemen schnell überfordert zu sein, dann wird man von Sonderaufgaben verschont. Fragt diese Person um Hilfe nach, ohne sich überhaupt eigene Gedanken gemacht zu haben, bekommt sie Unterstützung und jeder findet das normal. Schwierige Aufgaben werden ihr natürlich abgenommen.

Das muss gar nicht bewusst erfolgen, etwa um seine Kräfte für die Freizeit zu schonen. Vielleicht sind solche Mitarbeitende nur besonders vorsichtig und gewissenhaft? Aber es ergibt sich ein stabiles Gleichgewicht. Genau das wird durch die Forderung nach mehr Selbstständigkeit gestört. Damit müssten sie aus der gewohnten Routine ausscheren, sich für Problemlösungen anstrengen und sich der Unsicherheit aussetzen, dass ihre Vorschläge vielleicht gar nicht so gut sind.

Entwicklungsziele vereinbaren

Meine Erfahrung ist: Mit leichten Andeutungen ändern Sie da gar nichts. Es braucht eine unmissverständliche Aufforderung. Oft ist es auch gut, diesen Entwicklungsprozess, den solch ein „chronisch Unselbstständiger“ vor sich hat, unterstützend zu begleiten.

Ein Beispiel:

Frau Marszalek leitete eine Abteilung, in der projektorientiertes Arbeiten häufig vorkam. Vor einem halben Jahr hatte sie Herrn Kämpmann dazubekommen, einen langjährigen Mitarbeiter, dessen Arbeitsbereich aufgelöst worden war. Frau Marszalek hatte erwartet, dass er sich schnell einarbeiten würde, da er die Firma ja gut kannte.

Doch sie war unzufrieden mit seinen Ergebnissen. Er machte zwar nichts „falsch“, aber er brauchte zu allem und jedem einen Anstoß, einen konkreten Vorschlag, und regelmäßiges Nachfragen. Der Führungsaufwand war enorm hoch. Insbesondere bei den Projekten kam so gut wie gar nichts von Herrn Kämpmann selbst, sondern er arbeitete nur ab, was sie ihm aufgetragen hatte.

Frau Marszalek vereinbarte nun ein Entwicklungsziel-Gespräch mit ihm. In der ersten Gesprächsphase ging es darum, überhaupt eine Entwicklungsmotivation zu wecken:

  • Welches Arbeitsverhalten erwarte ich von Ihnen? Und wozu ist das nötig?
  • Was fehlt mir derzeit bei Ihnen? Wie nehme ich Sie wahr?

Herr Kämpmann argumentierte natürlich dagegen, er sah sich falsch bewertet. Frau Marszalek hörte aktiv zu und ließ das Selbstbild auch so stehen. Sie fragte, ob er bereit wäre, seine Arbeit in Richtung mehr Eigenständigkeit zu entwickeln. Dann konkretisierte man gemeinsam das Entwicklungsziel:

  • Woran könnten beide übereinstimmend in einem halben Jahr erkennen, dass Herr Kämpmann selbstständig arbeitet?

Abschließend trugen beide erste Ideen zusammen, was Herrn Kämpmann helfen würde, in Richtung Eigenständigkeit voranzukommen, und vereinbarten monatliche Controllinggespräche dazu.


Szenario 4: Verdeckte Kompetenzlücken

Ein Arbeiten nur nach Anweisungen und Routinen kann auch Kompetenzlücken verdecken, weil man nicht verstehen braucht, warum etwas so gemacht wird. Sollen solche Beschäftigte plötzlich eigenständig reagieren, können sie leicht Fehler machen, weil Wissensgrundlagen fehlen oder Zusammenhänge übersehen werden. Humorvoll könnte man sagen: Indem sie sich dagegen sperren, selbstständiger zu werden, bewahren sie im Grunde das Unternehmen vor Schaden!

Enge Führung und Fachlernen

Hier ist es unbedingt erforderlich, dass die Führungskraft sich ein genaues Bild vom Wissen und Können des Betreffenden macht. Ja, das bedeutet Kontrolle – auch wenn das oft ein Tabu ist. Aber es hilft der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter, wenn die Lücken erkannt sind, denn dann können sie geschlossen werden.

Ein Beispiel:

Frau Schröder hatte vor fast zehn Jahren zuerst als Urlaubsvertretung in der Verwaltung des mittelständischen Betriebes angefangen. Sie hatte eine kaufmännische Schule besucht, aber keine Berufsausbildung. Weil sie gut ankam, wurde sie etwas später als Elternzeit-Vertretung angefragt, und danach zuerst befristet und schließlich unbefristet in der Buchhaltung angestellt.

Bei einer Software-Umstellung ließ ihr Engagement zu wünschen übrig. Die Chefin ärgerte sich darüber, dass Frau Schröder nichts selbstständig entschied, sondern bei allen Änderungen zu ihr kam. Deshalb gab sie ihr die Aufgabe, einen Teilaspekt für das ganze Team in der neuen Software umzusetzen. Erst als das zu Fehlern bis hin zu Kundenbeschwerden führte, wurde der Führungskraft klar, dass Frau Schröder große Verständnislücken hatte.

In ausführlichen Gesprächen wurde eine Bestandsaufnahme gemacht, wie es um das Fachwissen bestellt war. Zum Glück war Frau Schröder kooperativ und redete sich nicht heraus. Sie erstellten einen Wissens-Aufbau-Plan, der sowohl eigenes Lernen als auch Fachschulungen vorsah. Zusätzlich wurde ihr eine Kollegin als Patin an die Seite gestellt.


In allen Szenarien hat die Führungskraft eine Schlüsselrolle, nämlich die (wirkliche) Lage zu erkunden und angemessene Entwicklungen anzustoßen. Oft ist eine Ent-Täuschung nötig. Sie muss die Mitarbeitenden so sehen, wie sie wirklich sind. Dazu sind telefonische Coachingsstunden eine gute Unterstützung. Erkundigen Sie sich gerne hier!


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